Lichtenberg
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1. Lichtenberg
Eine gesunde Gehirnentwicklung ist extrem wichtig für das menschliche Leben. Während das menschliche Gehirn von Erwachsenen bereits umfassend erforscht wurde und täglich neue Erkenntnisse darüber gewonnen werden, wissen wir nur überraschend wenig über die Gehirne von Kindern. Beeinträchtigungen der Gehirnentwicklung im Säuglingsalter und während der Kindheit durch beispielsweise Unfälle, Krankheiten, oder Störungen, beeinflussen das Leben der betroffenen Personen permanent. Entsprechend wichtig und notwendig ist es, die Gehirne von Kindern sowie deren Entwicklung zu untersuchen und zu verstehen. In dem Projekt Lichtenberg soll in diesem Sinne der Entwicklungsverlauf des Sehens bei Kindern näher untersucht werden. Ziel ist es die Frage „Wie sehen Kinder die Welt?” zu beantworten. Der Fokus liegt hierbei, neben den höheren Verarbeitungswegen, hauptsächlich auf den grundlegenden visuellen Funktionen und mittleren Verarbeitungswegen visueller Informationen. Zur Beantwortung der Frage werden Verhaltensexperimente und bildgebende Verfahren (MRT) in Querschnitts- und Längsschnittansätzen durchgeführt. Diese Herangehensweise ermöglicht es, die Forschungslücken der bisherigen Erkenntnisse über den visuellen Entwicklungsverlauf genau zu erforschen. Die Erkenntnisse aus dieser Studie sollen dann als Ausgangspunkt für klinische Experimente dienen.
2: Teilprojekt: CORTEX
Während der visuelle Cortex von Erwachsenen zu einem der am meisten untersuchten und zu den am besten verstandenen Teilen des Gehirns zählt, gibt es vergleichsweise wenig Erkenntnisse über den visuellen Cortex von Kindern und Jugendlichen. Gleichzeitig ist es von besonderer Bedeutung, die Entwicklung des Aufbaus des visuellen Kortex näher zu untersuchen und zu verstehen, da dieser Aufbau während des Entwicklungszeitraums extrem adaptionsfähig ist. Es gibt beeindruckende Fälle von Plastizität und Reorganisation – beispielsweise: Die komplette Insertion einer retinotopen Karte in einer der Hemisphären (Muckli et al. 2009, PNAS) – konnten im Verlauf der Entwicklung des visuellen Kortex beobachtet werden. Die Kartierung des visuellen Kortex dauert, mit seinen je 30 funktionalen Arealen pro Hemisphäre, mit herkömmlichen experimentellen Ansätzen jedoch mindestens zwei Stunden mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie (MRT). Außerdem ist diese extrem empfindlich gegenüber Bewegungen, da diese die Datenqualität hochgradig schädigen (Meissner et al. 2019). Dieser experimentelle Ansatz ist damit wenig geeignet für Kinder. Aufgrund dessen werden wir einen neue experimentelle Technik entwickeln und validieren, die es ermöglichen soll, das gesamte visuelle kortikale Netzwerk eines Kindes in nur ungefähr 30 Minuten aufzuzeichnen – die filmbasierte Kartierung. Die Idee dahinter ist die, alle notwendigen Kombinationen der experimentellen Bedingungen in einem Film zu vereinen. Dieser Ansatz wurde bereits vor 10 Jahren erstmalig genutzt um Objekt-, Orts- und Gesichtserkennungsregionen mit Ausschnitten aus Westernfilmen zu untersuchen (Hasson et al. 2004, Science). Für unseren Ansatz werden wir einen eigenen Film erstellen. Einerseits um volle Kontrolle über die experimentellen Bedingungen zu haben und um eine maximale Effizienz bezogen auf die Detektionsfähigkeit und –zeit erzielen zu können. Andererseits werden wir eine zusammenhängende Handlung einbringen, welche die Konzentration der Probanden erhöhen und Bewegungen minimieren soll.
3: Teilprojekt: V1
Was bedeutet es, etwas wahrzunehmen? Wahrnehmung ist mehr als der sensorische Abruf von Bildern, welche auf die Retina projiziert werden. Unser Kortex begibt sich in einen komplexen konstruktiven Prozess, welcher es uns erlaubt, Dinge wahrzunehmen, welche es so nicht direkt in unserer Umgebung gibt, wie z.B. optische Illusionen. Die primäre Sehrinde (V1) scheint eine besondere Rolle in der Frage einzunehmen, wo genau der Übergang vom sensorischen Input zur tatsächlichen Wahrnehmung stattfindet. Die V1 stellt den Haupteingang für visuelle Informationen in den visuellen Kortex durch Projektionen des Thalamus dar. Die Mehrheit der Aktivitäten der V1 sind werden jedoch von Feedbackprojektionen ausgelöst, die ihren Ursprung in den höheren Sehfunktionen haben und nicht etwa vom retinalen Input (perception; Muckli & Petro, 2013).
V1 von Erwachsenen setzt sich also mit beidem - Sinneseindrücken und der Wahrnehmung - auseinander. Bekannt ist ebenso, dass beispielsweise die Fähigkeit optische Illusionen wahrzunehmen, bereits im Kindesalter entwickelt wird. Aus der Forschung ist zudem bekannt, dass Kinder vor ihrem siebten Lebensjahr nicht in der Lage sind, die Ebbinghaus-Täuschung wahrzunehmen und dass das Kinder das ausgereifte erwachsene Anfälligkeitsniveau für optische Illusionen nicht vor dem elften Lebensjahr erreichen (Doherty et al., 2010). Des Weiteren scheint die Stärke einer Illusion von der Arealgröße von V1 abhängig zu sein (Schwarzkopf et al., 2011). Durch die Untersuchung des Entwicklungsverlaufs, bezogen auf die Ebbinghaus-Täuschung (via Verhaltungsmessungen) und der Arealgröße von V1 (via retinotopischer Kartierung), versuchen wir das Verständnis über die Entwicklung des visuellen Kortex und dem Unterschied zwischen Sinneswahrnehmung und Wahrnehmung zu vertiefen.